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Tourett Syndrom

Kann Cannabis beim Tourette-Syndrom helfen?

Inhaltsverzeichnis

Cannabis ist wahrscheinlich die beliebteste Alternative zur Behandlung des Tourette-Syndroms. Eine wachsende Anzahl klinischer Belege deutet darauf hin, dass cannabisbasierte Medikamente nicht nur die Tics verbessern, sondern auch die oft damit einhergehenden psychischen Beschwerden, wie Zwangsstörungen, ADHS, Angst und Depressionen – sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern

Aktuelle Forschungsergebnisse lassen vermuten, dass auch das Endocannabinoid-System Einfluss auf das Tourette-Syndrom haben könnte.   Cannabis scheint also eine bahnbrechende Therapie des Tourette-Syndroms darzustellen und für viele Symptome dieser Erkrankung Linderung zu bieten. 

Auch Forschungsergebnisse zeigen, dass Cannabis für Tourette-PatientInnen eine sichere Substanz ist. In den veröffentlichten Berichten werden nur geringfügige Nebenwirkungen erwähnt und einige Studien deuten sogar darauf hin, dass der Cannabiskonsum bei Tourette-PatientInnen auch die kognitive Leistungsfähigkeit verbessern kann.  

Obwohl Ärzte in vielen Teilen der Welt immer noch davor zurückschrecken, Cannabis gegen Tourette zu verschreiben, könnte sich das sehr bald ändern, da immer mehr hochwertige Forschungsergebnisse ans Licht kommen und die Gesetze zum Cannabiskonsum weiter gelockert werden.

Das Endocannabinoid-System (ECS) besteht aus Endocannabinoiden, ihren Rezeptoren und den Enzymen, die sie synthetisieren und abbauen. Es hilft unserem Körper, einen gesunden Gleichgewichtszustand (Homöostase) aufrechtzuerhalten.

Dementsprechend trägt dieses System zur Regulierung einer Vielzahl von wichtigen Prozessen bei, darunter die kognitive Funktion, Funktion des Immunsystems, Stimmung, Schlaf, Schmerzempfinden und Stoffwechsel. 

Anandamid und 2-AG, die beiden wichtigsten Endocannabinoide unseres Körpers, sind die Hauptkomponenten dieses Systems. Sie wirken über zwei bekannte Cannabinoid-Rezeptoren: CB1- und CB2-Rezeptoren. Diese Rezeptoren sind überall im Körper zu finden, wobei CB1-Rezeptoren besonders häufig im zentralen Nervensystem und CB2-Rezeptoren in Immunzellen vorkommen.

CB1 und CB2 können auch mit Phytocannabinoiden interagieren. Das sind von Pflanzen produzierte Moleküle, die strukturell den Endocannabinoiden unseres Körpers ähneln. Die bekanntesten von ihnen, THC und CBD, sind in großen Mengen in Cannabis enthalten. Ihre Ähnlichkeit mit den Endocannabinoiden könnte erklären, wie Cannabis seine medizinische Wirkung erzielt.

Derzeit gibt es noch nicht viele direkte Belege für den Einfluss des Endocannabinoid-Systems auf das Tourette-Syndrom, aber es gibt viele indirekte Hinweise und Korrelationen.

Zum einen wissen die ForscherInnen, dass CB1-Rezeptoren reichlich in den Basalganglien vorkommen. Dieser Teil des Gehirns ist unter anderem für die Bewegungssteuerung des Körpers verantwortlich und eine Fehlfunktion an dieser Stelle spielt eine zentrale Rolle beim Tourette-Syndrom. Dies deutet darauf hin, dass das Endocannabinoid-System an der Regulierung der Bewegung beteiligt ist.

Darüber hinaus gibt es starke Hinweise darauf, dass das Tourette-Syndrom mit einer Dysfunktion des Dopamin-Systems einhergeht. Es ist bekannt, dass das Endocannabinoid-System einen signifikanten Einfluss auf die Dopamin-Neurotransmission hat. Daher können bei Erkrankungen mit einer Dopamin-Dysfunktion (wie dem Tourette-Syndrom) Therapien, die das Endocannabinoid-System ansprechen, sinnvoll sein.

Insbesondere spekulieren die ForscherInnen, dass das Endocannabinoid-System eine Rolle bei der Unterdrückung der überaktiven Dopaminweiterleitung im Gehirn spielen könnte. Diese Überaktivität führt zu der mangelhaften Bewegungskontrolle, die die Tics, das „Markenzeichen“ des Tourette-Syndroms, auslöst. 

Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass das Tourette-Syndrom auch mit einer Dysfunktion anderer Neurotransmitter im Gehirn, nämlich Glutamat und GABA, einhergeht. Manche Studien haben gezeigt, dass diese Neurotransmitter ebenfalls durch das Endocannabinoid-System beeinflusst werden.

Zusammengenommen liefern diese Beweise eine plausible Erklärung dafür, warum cannabisbasierte Medikamente, die auf das Endocannabinoid-System wirken, vielen Menschen mit Tourette hilft

Es gibt eine Vielzahl an Belegen dafür, dass Cannabis nicht nur die Tics verbessern kann, sondern auch die mit der Erkrankung einhergehenden psychischen Störungen, von denen fast 90% der Tourette-PatientInnen betroffen sind, zum Beispiel ADHS, Angststörungen, Depressionen und Zwangsstörungen.

Die beiden wichtigsten klinischen Studien zur Behandlung von Tourette und damit verbundenen psychischen Erkrankungen mit Cannabis wurden von Dr. Müller-Vahl geleitet, einem führenden Experten für Tourette und andere Tic-Störungen. 

In der ersten Studie von 2002 erhielten 12 Erwachsene mit Tourette eine von drei Dosen reines THC oder ein Placebo. Die THC-Behandlung verbesserte die Tics signifikant.  Sie verbesserte auch das zwanghafte Verhalten, eine der häufigsten Komorbiditäten des Tourette-Syndroms. 

An einer Folgestudie im Jahr 2003 nahmen 24 erwachsene Tourette-PatientInnen teil. Ihnen wurde 6 Wochen lang bis zu 10 mg THC pro Tag oder ein Placebo verabreicht. Auch hier hat THC die Tics deutlich verbessert.

Darüber hinaus ergab eine Umfrage im Jahr 1998 unter 64 Tourette-PatientInnen, von denen 14 Cannabis konsumierten, dass 82% dieser 14 CannabiskonsumentInnen eine Verringerung oder vollständige Remission ihrer Tics sowie eine Verbesserung des prämonitorischen Drangs und der zwanghaften Symptome aufwiesen. In einem Bericht aus dem Jahr 2017 wurde bei 19 Erwachsenen mit dem Tourette-Syndrom ebenfalls die Wirksamkeit von Cannabis untersucht. Im Durchschnitt wurden die Tics um 60% reduziert und bei 18 von 19 Personen haben sie sich signifikant verbessert. Studien, die zeigen, dass Cannabis die Tics und andere Tourette-Symptomes konsequent verbessert, sind sehr vielversprechend. 

Darüber hinaus gibt es eine große Anzahl veröffentlichter Fallberichte von Tourette-PatientInnen, die durch Cannabiskonsum Abhilfe für ihre Tics und damit zusammenhängende psychische Probleme gefunden haben. In einem Bericht von 1993 wurde ein 36-jähriger Mann beschrieben. Er rauchte täglich Cannabis und hatte seit einem Jahr keine Tics mehr. 

In einem weiteren Bericht aus dem Jahr 1999 ging es um einen 25-jährigen Patienten mit fortgeschrittenem Tourette-Syndrom sowie ADHS, Zwangsstörungen, Angst und Impulsivität. Er erlebte durch das Rauchen von Cannabis eine Verbesserung all seiner Symptome. Dieser Patient erhielt dann eine einzige Dosis von 10 mg THC, was zu einer 80%igen Verringerung seiner Tics und anderen Symptomen sowie zu einer verbesserten Aufmerksamkeit und Reaktionszeit führte.

In einer Fallstudie aus dem Jahr 2011 wurde ein 42-jähriger Mann beschrieben, der mit der THC-Behandlung eine Verringerung seiner Tics um 75% sowie eine Verbesserung seiner Konzentration und Sehfähigkeit erlebte.

In einem Bericht aus dem Jahr 2017 wurde ein 16-jähriger Junge mit komplexen Tics und damit einhergehenden psychischen Problemen wie Schlafstörungen, Angstzuständen, Zwangsstörungen, Depressionen und Wutanfällen beschrieben. Ihm wurde THC in vaporisierter Form verschrieben, was zu einer signifikanten Verbesserung der Tics und der damit verbundenen psychischen Probleme führte. Im selben Bericht wurde ein ähnlicher Fall eines 19-jährigen Jungen mit einer seltenen Tourette-Form vorgestellt, der ebenfalls bei täglicher Einnahme von medizinischem Cannabis eine deutliche Verbesserung erfuhr.

Es gibt auch einen Bericht über einen 7-jährigen Jungen mit schwerem Tourette-Syndrom und damit einhergehend ADHS und Depressionen. Nachdem alle anderen Medikamente versagt hatten, wurde ihm THC verabreicht. Der Junge nahm das THC täglich zusammen mit zwei Tourette-Medikamenten ein und erlebte trotz der hohen THC-Dosis eine signifikante Verbesserung der Tics und der damit verbundenen psychischen Probleme – ohne Nebenwirkungen.

In Fallberichten von Tourette-PatientInnen, die Nabiximols (auch bekannt als Sativex), ein cannabisbasiertes Spray mit THC und CBD erhielten, wurden ebenfalls ähnliche Verbesserungen beschrieben.

Einige Studien haben gezeigt, dass reines CBD allein ohne THC nicht die Tourette-Tics verbessert und dass Vollpflanzen-Cannabispräparate mit mittleren bis hohen THC-Werten besser wirken als reine THC-Medikamente

Es ist allgemein bekannt, dass Cannabiskonsum mit Nebenwirkungen verbunden ist, zum Beispiel Angst, Schwindel, Müdigkeit, Schläfrigkeit, Übelkeit, Mundtrockenheit, Gedächtnisstörungen und das „High“.

Praktisch alle veröffentlichten Berichte über den Cannabiskonsum bei Tourette-PatientInnen haben diese Effekte nachgewiesen. Jedes Mal wurden diese Nebenwirkungen jedoch als geringfügig und vorübergehend angesehen und es wurden keine schwerwiegenden Nebenwirkungen gemeldet.

Interessanterweise verschlechtert Cannabis nicht unbedingt die kognitive Leistungsfähigkeit von Tourette-PatientInnen. Dies steht im Widerspruch zu dem Rückgang der mentalen Leistungsfähigkeit bei gesunden Menschen.

Eine Studie ergab zum Beispiel, dass Tourette-PatientInnen, die THC einnahmen, keine Abnahme der Reaktionszeit, der Intelligenz, der Aufmerksamkeit oder anderer Marker für die kognitive Leistungsfähigkeit aufwiesen. Eine weitere Studie ergab, dass THC bei ProbandInnen mit Tourette tatsächlich das verbale Gedächtnis verbesserte. Schließlich gibt es sogar Berichte, dass THC die Konzentration und die Sehfähigkeit verbessern kann, was zu einer verbesserten Fahrtüchtigkeit von Tourette-PatientInnen führt.

Zusammen mit der Verbesserung der Aufmerksamkeit und der Beseitigung der damit verbundenen kognitiven Problemen, die in anderen Studien berichtet wurden, deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass Menschen mit Tourette tatsächlich eine verbesserte kognitive Funktion durch den Cannabiskonsum entwickeln können.

Cannabis ist in einigen Ländern mit Programmen für medizinisches Cannabis, darunter Italien, die Niederlande und Israel, zur Behandlung des Tourette-Syndroms zugelassen.

Auch in anderen Ländern ohne spezifische Verschreibungsbedingungen für medizinisches Cannabis kann man es zur Behandlung des Tourette-Syndroms erhalten, wenn es von einem Arzt empfohlen wird, zum Beispiel in Österreich, Griechenland, Deutschland, Norwegen, Paraguay, Polen, Uruguay und Estland.

In den USA ist der Konsum von medizinischem Cannabis beim Tourette-Syndrom in den Staaten Arkansas, Illinois, Missouri, New Jersey, Ohio und Pennsylvania erlaubt.

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